Diese Insomnie ist wohl der häufigste Typ einer chronischen, seit Jahren bestehenden Insomnie, bei der die Klagen über Schlaflosigkeit in erheblichem Maße den Lebenslauf der Betroffenen beherrschen [5/21/22].
Im Verständnis der modernen Schlafforschung [26] können unterschiedlichste Belastungen in der Lebensgeschichte Schlafstörungen auslösen, wobei Dauerstress und anhaltende Belastungen für die Entwicklung einer chronischen Insomnie bedeutsam sind. Sie erzeugen ein erhöhtes Erregungsniveau in Körper und Psyche (sog. „Hyperarousal“) mit einer Labilisierung vegetativer Funktionen (z. B. Herzrasen oder Schwitzen), körperlicher Anspannung (z. B. Muskelverspannung oder Unruhe), gefühlsmäßiger Erregung (z. B. Ärger und Angst vor dem Nichteinschlafenkönnen) und geistiger Überaktivität (z. B. Gedankenkreisen oder ständig neu einschießende Gedanken).
Dieses Hyperarousal verhindert das Einschlafen und führt zu einer Unterbrechung der Schlafkontinuität durch nächtliches Erwachen. Die Schlafumgebung und der Vorgang des Schlafengehens werden zum unbewussten Signal dafür, nicht schlafen zu können. Im verhaltensmedizinischen Sinne findet eine Konditionierung statt. Die Schlafsituation wird gedanklich und gefühlsmäßig an die Schlaflosigkeit gekoppelt. Der so schlafgestörte Patient erlebt eine unerholsame Nacht und ist dadurch am Tage vermindert leistungsfähig. Er löst seine den Schlaf störenden Probleme des Tages nicht mehr ausreichend und sehnt sich so sehr nach einem erholsamen und ausreichend langen Schlaf, dass er ihn am liebsten erzwingen möchte.
Es entsteht ein Teufelskreis aus Schlafstörung, verminderter Leistungsfähigkeit am Tag, Ärger, Anspannung und Angst, der die Schlafstörung unterhält und zur Chronifizierung beiträgt.
Folgende Leitsymptome der primär-psychophysiologischen Insomnie sind diagnostisch wegweisend:
- Im Beschwerdebild des Patienten dominieren chronische Ein- und/oder Durchschlafstörungen.
- Die Schlafstörung und der angestrengte Versuch zu Schlafen beherrschen in erheblichem Maße das Leben der Betroffenen.
- Ein erhöhter Erregungszustand (Hyperarousal) verhindert ein Einschlafen und führt zu nächtlichem Erwachen.
- Die Schlafumgebung (z. B. Schlafzimmer oder Liegen im Bett) kann bereits schlafstörend wirken. Das Einschlafen gelingt gelegentlich, wenn der Schlaf nicht aktiv gesucht wird (z. B. vor dem Fernseher).
- Nächtliches Wachliegen ist mit emotionaler Erregung (z. B. Ängste oder Ärger), kognitiver Überaktivität (z. B. Gedankenkreisen oder pausenlos einschießenden Gedankenspots), körperlicher Anspannung (z. B. Muskelverspannung oder Unruhe) und/oder mit vegetativer Stimulierung (z. B. Herzrasen oder Schwitzen) verbunden.
- Müdigkeit und Adynamie, Stimmungsverschlechterung, Reizbarkeit, Konzentrations- und Leistungsschwäche beeinflussen das Tagesbefinden.
Umgangssprachlich beschrieben, haben die betroffenen Patienten das Schlafen „verlernt“. Sie haben die Unvoreingenommenheit dem Schlaf gegenüber verloren und sind „verkrampft“ in ihrem Kampf, den Schlaf für sich zurückzuerobern. Daher werden vor allem nicht-pharmakologische Therapieverfahren erfolgreich eingesetzt. Sie umfassen neben der Aufklärung und Beratung des Patienten verhaltenstherapeutische Ansätze wie Schlafhygiene, Stimuluskontrolle oder die individuelle Verhaltenstherapie, weiterhin Entspannungstherapien und spezifische Psychotherapieformen [17/18].
In der Therapie müssen nicht selten Fachleute, zumindest Nervenärzte oder Psychologen, zu Rate gezogen werden, um adäquate Behandlungserfolge zu erzielen. Die regelmäßige und tägliche Daueranwendung von Schlafmitteln ist nicht hilfreich. Allerdings kann versucht werden, durch Schlafmittel den Circulus vitiosus zu durchbrechen, der aus Angst vor dem Nicht-Schlafenkönnen eine erhöhte Erregungsbereitschaft und damit wieder Schlaflosigkeit erzeugt.